Es gibt Geschichten, die klingen zu gut, um wirklich wahr zu sein. Aber diese hier ist tatsächlich so passiert, auch wenn wir nur dieses eine Bild als Beweis zeigen können. Und das Bild an sich wirkt bereits ungewöhnlich genug. Wann sieht man schon einmal einen 917/10 im Schnee. Und dann stehen auch noch reichlich Polizeiwagen im Hintergrund. Einige Betrachter werden vermutlich den Ort erkennen: Es ist die alte Start-Ziel-Gerade des Nürburgrings. Abgesehen von den Wenigen unter Euch, die die gesamte Story bereits kennen, möchten wir unseren Lesern hier natürlich erzählen, was damals nur Minuten vor diesem Bild geschehen ist und wie es dazu kam.
Zwei Tage vor diesem Foto gewann Willi Kauhsen mit dem gelben 917/10 das Interserie-Eröffnungsrennen der Saison 1973 auf dem Nürburgring. Anschließend blieben er uns sein Team für Testfahrten vor Ort - und aufgrund einer ganz besonderen Verabredung für Dienstag, den 3. April 1973.
Jetzt müssen wir noch einmal einige Wochen weiter in der Geschichte zurückspringen, um auch die Hintergründe zu verstehen. In dieser Zeit war Dr. Gustav Heinemann Bundespräsident von Deutschland. Ab Anfang 1973 begab er sich jedoch altersgemäß und aufgrund des heranrückenden Endes seiner Amtszeit auf eine Abschiedstour durch alle damaligen Bundesländer Westdeutschlands. Bereits im Vorfeld hatte er gegenüber seines Teams einen lang gehegten Wunsch geäußert: Obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits 74 Jahre alt war, wollte er gerne eine Mitfahrt in einem der schnellsten Fahrzeuge der damaligen Zeit miterleben, dem 917/10 mit seinem rund 1.000 PS starken 180°-V12-Motor. Man erkundigte sich beim Team von Willi Kauhsen und machte den oben erwähnten Termin nach dem Rennen auf dem Nürburgring aus. Es gab nur ein kleines Problem: Als die Gruppe mit Präsident Heinemann in der Eifel eintraf, schneite es.
Die Vorbereitungen, um Heinemanns Wunsch erfüllen zu können, waren umfangreich und umfassten in den Wochen zuvor zahlreiche Sicherheitsüberprüfungen, denen sich unter anderem auch das gesamte Rennteam von Willi Kauhsen unterziehen musste. Also musste der Termin nun einfach trotz der Wetterbedingungen stattfinden, an ein Verschieben war nicht zu denken. Das Sicherheitsteam schickte einen Polizeiwagen mit bewaffneten Beamten auf eine Kontrollrunde um die Nordschleife, um die umliegende Gegend auf eventuelle Hinterhalte zu überprüfen. In der Zwischenzeit kletterte Gustav Heinemann ins Cockpit des 917/10 - nur bekleidet mit seinem Anzug und einem Mantel. Aufgrund bis heute gültiger Regularien haben Rennsportwagen einen angedeuteten Beifahrerplatz im Cockpit - allerdings ist dieser nicht mit eigenen Gurten ausgestattet. Nachdem Heinemann ein Helm gereicht worden war, klammerte er sich also schlicht am Gitterrohrrahmen fest. Den Fahrersitz nahm derweil Willi Kauhsen selbst ein, der den 917/10 so gut wie seine Westentasche kannte. Obwohl das Polizeifahrzeug noch nicht zurückgekehrt war, starteten Kauhsen und Heinemann auf ihre Runde. Kauhsen fuhr den Witterungsbedingungen angepasst langsam und kam irgendwann am Polizeiauto vorbei, dass in einem Erdhügel außerhalb einer Kurve steckte. Er selbst brachte den 917/10 in einer Kurve in eine 360-Grad-Pirouette, konnte ihn jedoch abfangen und die Runde beenden. Präsident Heinemann war von den Fahrteindrücken offenbar tief beeindruckt und soll noch Tage später begeistert davon berichtet haben.
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